Ein rätselhafter Schimmer
Das Berlin der 20er Jahre erwacht in der kING zu neuem Leben
Es ist viel mehr als Musik und Kunst, was das Trio „Größenwahn“ und Künstler Robert Nippoldt am Samstagabend vor fast ausverkaufter kING den Gästen präsentieren: in atemberaubender Schnelligkeit werden die wilden Zwanziger Berlins mit Pinsel, Kreide, Bleistift und Tusche auf die Leinwand gezaubert. Dank Groß-Projektion sind die Zuschauerinnen und Zuschauer ganz nah am Geschehen. Dazu die drei Musiker des Trios, die den Klassikern der damaligen Zeit schwungvoll neues Leben geben.
Lotta Stein eröffnet mit Marlene Dietrichs „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“, während gleichzeitig tanzende Pinsel die Leinwand erobern. Das Publikum ist verblüfft und amüsiert und vom ersten Moment der Show an hingerissen. Die geschichtliche Einordnung der Weimarer Demokratie erinnert mit kurzer bildhafter Sprache visuell an die Nachkriegszeit, die bald wieder zur Vorkriegszeit werden sollte.
Arbeitslosigkeit, Kriegsinvaliden, Inflation, menschliche Tragödien aber auch ausgelassenes Nachtleben, Drogen, Verruchtheit – alles was die „Roaring Twenties“ in der Hauptstadt des Reiches ausmachen, wird thematisiert. In nicht weniger als drei Minuten erwachen die Kanzler der Weimarer Republik zum Leben, mit der Länge ihrer oft kurzen Amtszeit und ihren Besonderheiten. Der Einzelne ist dabei auf der Suche nach dem privaten Glück – „Irgendwo auf der Welt gibt’s ein kleines bisschen Glück …“. Technisch thematisieren die Künstler den Höhenflug des Tonfilms – „Mein Bruder macht im Tonfilm die Geräusche...“, die ersten Anfänge in der Entwicklung des Flugzeugs, die Elektrifizierung der Städte und den Erfolg des Volksempfängers.
Doch die Schatten der NS-Zeit werfen bereits ihre Schatten voraus. Der Reichstag brennt und Menschen werden als Juden und Außenseiter stigmatisiert. Ein Paar spaziert durch die Straßen, doch die von Nippoldt eingefügte Lupe lässt erkennen, dass der Mann NSDAP-Mitglied ist, sie trägt den Judenstern. „Der letzte Tango“ ist sinnbildlich das Ende der Ausgelassenheit, andere Zeiten sind im Kommen.
Das Berlin der 1920er, voll ausgelassener Lebenslust, steuert dem Ende zu, da im Hintergrund die Gewitterwolken der Nazi-Herrschaft aufziehen.
Christian Stein am Piano und Christoph Kopp am Kontrabass gelingt es, die damaligen Klassiker in die heutige Zeit zu übertragen. Viele der Kompositionen z.B. die der Comedian Harmonists sind bekannt und verführen zum Mitsingen.
Ein Abend voller Überraschungen, aber auch der Erkenntnis, dass manches, was damals passierte, heute Parallelen findet. Das Publikum dankt mit stehendem Applaus, denn jetzt gibt es einen „Schimmer“ über die Zeit, die uns heute mehr denn je beschäftigt.







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