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News/Events • 26. Juni 2017

Der Rotweinkönig von Ingelheim

Die Industrialisierung und die zunehmende Abschottung der deutschen Wirtschaft unter dem Reichskanzler Otto von Bismarck blieben auch für den Weinbau nicht ohne Folgen. Von Vorteil waren für die Erzeuger neue wissenschaftliche Methoden, die sich zum Ende des 19. Jahrhunderts im Obst- und Weinbau allmählich durchsetzten und höhere Erträge ermöglichten.

Gleichzeitig durchlief die Landwirtschaft insgesamt einen tiefgreifenden Strukturwandel: Durch das Bevölkerungswachstum schrumpften die Nutzflächen je Betrieb. Viele Bauernfamilien wandten sich der Obst- und Gemüseerzeugung sowie dem Weinbau zu: Diese Erzeugnisse waren zwar arbeitsintensiver, benötigten jedoch weniger Fläche als andere Feldfrüchte. Das Ergebnis dieser Veränderungen verdeutlicht eine Obstbaumzählung, die im Jahr 1900 im Deutschen Reich durchgeführt wurde: Sie ergab allein für Nieder-Ingelheim die stattliche Zahl von 62.530 Obstbäumen.

Die Eisenbahn erweitert das Absatzgebiet

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Ein Problem der deutschen Winzer jener Zeit lag in der Vorliebe der Deutschen, französische Weine vorzuziehen. So schrieb die Oppenheimer Winzerzeitung „Landskrone“ 1879: „Diese deutsche Krankheit, für alles Ausländische zu schwärmen, macht sich im Weine am meisten geltend und wird von Franzosen mit wahrhafter Virtuosität ausgebeutet.“ Die Deutsche Weinzeitung formulierte es 1899 so: „Noch immer gilt Goethes Wort: ‚Der Deutsche mag keinen Franzmann leiden, doch seine Weine trinkt er gern‘.“

Zu den Vorteilen der Industrialisierung gehörte die Eisenbahn. Sie ermöglichte es Produzenten, große Mengen an frischem Obst und Gemüse, etwa Äpfel, Kirschen und Spargel, über weitere Strecken zu vermarkten. Ingelheimer Obst konnte so beispielsweise auch ins Ruhrgebiet verhandelt werden. Um die Jahrhundertwende schlossen sich viele Nieder-Ingelheimer Erzeuger zum Obst- und Gartenbauverein zusammen. Wie überall in Deutschland sollte die Gründung von Absatzgenossenschaften eine noch bessere Vermarktung ermöglichen. Auch die Winzer von Nieder- und Ober-Ingelheim schlossen sich 1901 zu Genossenschaften zusammen. Die Nieder-Ingelheimer errichteten 1904 ihre eigene Kellerei an der Binger Straße.

Angriff der Reblaus

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Die Spätburgunder-Rebe war am Beginn des 20. Jahrhunderts allen Fortschritten zum Trotz im Niedergang begriffen. Dabei spielten Schädlinge eine wesentliche Rolle. Zum einen hatte der „falsche Mehltau“ überdurchschnittlich oft zugeschlagen. Hinzu kam ein „Import“ aus Amerika: Die Reblaus ließ viele Winzer verzweifeln. 1908 weitete sich die Plage zu einer Katastrophe aus, die durch ein strenges Reblausgesetz noch verschärft wurde. Die Presse berichtete damals, dass mancher Winzer den Mut verloren hätte, überhaupt neue Weinberge anzupflanzen. Aufgrund der schlechten Jahre sahen sich viele sogar veranlasst, selbst ertragfähige Weinlagen auszuhauen und stattdessen andere Kulturpflanzen anzubauen.

Es war der Ingelheimer Winzer Josef Neus senior, der den Spätburgunder rettete. Um die edlen Reben „reblausfest“ zu machen, kreuzte er sie mit importieren Wildreben aus den USA, die als resistent gegen den Schädling galten. So züchtete Neus zusammen mit dem Dienheimer Weinbaulehrer Konrad Willig die „Spätburgunder-Selektion Neus“. Für seine Verdienste um den Ingelheimer Weinbau erntete Josef Neus viel Anerkennung. Der Autor Hermann Jung („Wenn man beim Wein sitzt“) verlieh ihm dafür den Titel „Rotweinkönig von Ingelheim.“ Damit endet die kleine Serie über den Weinbau und Ingelheim.

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