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Ort: Ingelheim
Lokal • 9. Juli 2020

Seltenes Hockgrab der Jungsteinzeit in Ingelheim

Seltenes Hockgrab der Jungsteinzeit in Ingelheim – Hinweis auf die ersten Ingelheimer:
Am 5. Juni wurden die archäologischen Ausgrabungen im „Gertrudenhof“ an der Ottonenstraße beendet. Jetzt wird dort mit der Errichtung einer Wohnanlage begonnen. „Die erhofften frühmittelalterlichen Grubenhäuser oder Baukonstruktionen kamen dabei zwar nicht ans Tageslicht, dafür aber eine kleine wissenschaftliche Sensation“, erklärt Kulturdezernentin und Bürgermeisterin Eveline Breyer begeistert. „Wir haben wohl die ersten Ingelheimer entdeckt.“ Der etwa 0,37 Hektar große Gertrudenhof liegt zwischen der Pfalzanlage und der St. Remigiuskirche. Bis 2019 befand sich hier ein Weinberg. In unmittelbarer Nähe des Areals wurden schon früher bedeutende Entdeckungen aus der merowingischen Epoche (ca. 500–750 n. Chr.) gemacht. So fand man an mehreren Stellen zwischen 1994 und 2019 früh- bis spätmittelalterliche Baubefunde. Auch der berühmte Goldsolidus mit dem Bildnis Karls des Großen wurde nicht weit von hier entdeckt. „Hier spielte sich also seit langem das Leben in Ingelheim ab. All dies ließ die Forscher vermuten, auf dem Gertrudenhof weitere Puzzleteile des mittelalterlichen Ingelheim aufdecken zu können“, meint Breyer.

Archäologischer Stadtkataster rettet Geschichte: Wie schon zuletzt bei der Grabung am Gänsberg wurde auch der Gertrudenhof im Rahmen des Ingelheimer Archäologischen Stadtkatasters untersucht. Dieses Register erfasst Siedlungsspuren vergangener Epochen und ermöglicht es den Wissenschaftlern, Flächen mit zu erwartenden Funden in Absprache mit den jeweiligen Bauherren zu erforschen, bevor Zeugnisse vergangener Kulturen unbesehen verschwinden. Die Bauunternehmung Karl Gemünden GmbH & Co. KG stellte hierfür finanzielle Unterstützung und einen Bagger zur Verfügung, um damit die obersten Schichten abzutragen, bevor sich die Archäologen mit feinerem Werkzeug an die Arbeit machten. Bis Anfang Juni wurden so insgesamt 21 Grabungsschnitte mit einer Gesamtfläche von 2.500 Quadratmetern untersucht. Die dabei aufgedeckten Befunde wurden mit neuester Technik dokumentiert: Mit Kamera und Kameradrohne wurden Hunderte Fotos gemacht, aus denen sich hinterher am Computer exakte Modelle des Geländes und der Befunde anfertigen lassen.

Überraschung am Ende der Grabung: Lange Zeit waren die Ergebnisse der Ausgrabungen nicht sonderlich spektakulär: Die Archäologen fanden Drainagen, die wahrscheinlich schon seit dem Mittelalter zur Entwässerung der Fläche angelegt wurden, sowie ehemalige Parzellengrenzen in Gestalt von Fundamentresten, die sich mit historischen Karten aus dem 19. Jhd. decken. Doch dann entpuppten sich mehrere Steinsetzungen im südlichen Bereich des Areals als Hinterlassenschaften aus einer Zeit, die in Rheinhessen bislang eher selten dokumentiert werden konnte: Es handelt sich um insgesamt drei Grabstellen, die sich vermutlich der so genannten Schnurkeramik zuordnen lassen. Diese Kulturstufe beginnt am Ende der Jungsteinzeit etwa 2800 v Chr. und markiert den Übergang in die Bronzezeit.

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Für die Datierung spricht insbesondere das außergewöhnlich gut erhaltene Skelett eines in Hocklage begrabenen Menschen, einer für diese Zeit typischen Bestattungsform. Ob die Archäologen mit ihrer Annahme richtigliegen, müssen weitere Untersuchungen an den Knochen zeigen. Dieser Fund unterstreicht, wie wertvoll der Archäologische Stadtkataster für das Verständnis der Geschichte Ingelheims ist – ohne Kataster wären diese frühen Spuren menschlicher Besiedlung unbeachtet und undokumentiert weggebaggert worden.

Forschungsgrabung an der Rotweinstraße wird fortgesetzt: Der Archäologische Kataster Ingelheims erwies sich schon bei den Ausgrabungen am „Gänsberg“ (2017 bis 2020) als großer Glücksfall für die Stadt: Auf der etwa zwei Fußballfelder großen Fläche, auf der inzwischen moderne Wohngebäude errichtet wurden, konnten die Archäologen 195 Befunde aus Bronzezeit, Römerzeit und Frühmittelalter sowie zahllose Einzelfunde aus diesen Epochen dokumentieren. Auf der Grundlage von Gebäudespuren vom „Gänsberg“ wurde erstmals für Ingelheim eine 3D-Rekonstruktion eines merowingischen Gehöfts angefertigt, die einen Eindruck vom Leben in dieser Zeit gibt. In den kommenden Sommermonaten widmet sich die Forschungsstelle wieder der mehrjährig angelegten Forschungsgrabung auf dem Reihengräberfeld Rotweinstraße. Auch hier gab es zuletzt spannende Funde: In zwei merowingischen Gräbern fanden die Archäologen goldene bzw. vergoldete Münzbeigaben, die Aussagen über das Alter der Gräber und den sozialen Status der dort bestatteten Personen ermöglichen.

Bildquelle: Stadtverwaltung Ingelheim

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