200 Jahre Streit um den Weinzehnt in Ober-Ingelheim
Der längste Streit um eine Zehntabgabe entbrannte zwischen Ober-Ingelheimer Winzern und ihren Grundherren. Der Zwist begann 1620 und zog sich, kurz nur unterbrochen von den Wirren des 30-jährigen Krieges, bis zum Ausgreifen der französischen Revolution ab 1792. Erst sie beseitigte die letzten Überbleibsel der mittelalterlichen Herrschaft von Adel und Kirche links des Rheins und wandelte die Abgaben in moderne Steuern um.
Der Zehnt, die „Grundsteuer“ des Mittelalters, sollte ursprünglich zur Unterhaltung von Kirchen und Geistlichen dienen. Die Lehnsherren waren eigentlich verpflichtet, 18 bis 25 Prozent ihrer Einnahmen darauf zu verwenden. Oftmals erfüllten sie ihre Pflicht aber nicht oder nur mangelhaft, sodass sich immer wieder Streitigkeiten entzündeten.
Da Ländereien im Laufe der Zeit oft den Besitzer wechselten, waren die Verhältnisse in Ober-Ingelheim im 18. Jahrhundert sehr kompliziert geworden: Der Weinzehnt des Ortes ging zu einem Drittel an die pfälzisch-kurfürstliche Hofkammer und zu zwei Dritteln an eine Frau von Geismar. Deren Familie hatte dieses Recht schon im frühen 17. Jahrhundert erhalten. In Ober-Ingelheim gab es zusätzlich einen etwas ungewöhnlichen Brauch: Laut Überlieferung war es üblich, dem Weinbauern je abgegebenes „Legel“ (lokaler Ausdruck für das Weinlese-Gefäß, das auf dem Rücken getragen wurde) drei Pfennig zu zahlen; auf diese Art sollte dem Ganzen wohl der Anschein von Freiwilligkeit gegeben werden. Der Ober-Ingelheimer Zehntstreit drehte sich um vier Fragen: 1. Sind die Ober-Ingelheimer Weingutsbesitzer verpflichtet, den vollen Zehnten oder nur die Hälfte davon abzugeben? 2. Wo ist der Zehnte abzugeben: beim Einbringen an einem der Tore, oder später im Zehnthof, nachdem die Winzer ihren (mutmaßlich besseren) Wein bereits nach Hause gebracht hatten? 3. Sind Kellervisitationen zur Überprüfung von Menge und Qualität des Weines in den Gütern der Winzer legal? 4. Sollen die Weinbauern für jeden abgelieferten Legel Wein drei Pfennig bekommen, als Anerkennung dafür, dass es eigentlich eine „freiwillige Zehntabgabe“ wie zum Beispiel in Groß-Winternheim sei?
Im Jahr 1726 kam es zu einem Vergleich: Frau von Geismar verzichtete rückwirkend für 98 Jahre (!) auf Rückzahlung ihr zustehender Abgaben. Allerdings hatte die adelige Dame jetzt das Recht auf Kellervisitationen, was den Winzern natürlich nicht gefiel. Etwas später wurde die pfälzisch-kurfürstliche Hofkammer ebenfalls Zehentner von Ober-Ingelheim und stellte die Forderung, auf Wunsch Rotwein zu erhalten. Zuvor war es möglich gewesen, der Zehntpflicht auch mit Weißwein nachzukommen. Man kann daraus schließen, dass schon im 18. Jahrhundert der Ingelheimer „Rote“ mehr geschätzt wurde.
Ober-Ingelheim verlor den Rechtsstreit, und 1773 erhielt der Ort die „Verordnung, nach welcher zu Ober-Ingelheim geherbstet und gezehndet werden soll.“ Sie beinhaltete u.a. eine Eichpflicht und ein Nachtleseverbot. Einige Winzer weigerten sich, dem nachzukommen, bis schließlich ein Bataillon Husaren den „Aufruhr“ militärisch beendete. Sechs Anführer wurden zu Zuchthaus verurteilt, und Ober-Ingelheim musste obendrein mit 6.000 Gulden die Gerichtskosten und den Militäreinsatz bezahlen.
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