Begeistertes Publikum bei Künste & Klänge in der Aula regia
„Mein blöder Zug“, murmelt Jutta Speidel in der Lesepause, als sie am Büchertisch ihr neustes Werk „Amaryllis“ signiert. Eine lange Schlange hat sich vor dem Tisch gebildet. Alle hoffen, noch schnell ein Autogramm oder ein Handyfoto zu bekommen. Jutta Speidel bemüht sich, alle Wünsche ihrer Fans zu erfüllen, obwohl ihr Zeitplan eng getaktet ist. Um den Zug nach der Lesung zu bekommen, muss sie auf die Tube drücken. Und das tut sie charmant und unprätentiös, immer ein Lächeln im Gesicht. In einem Sparschwein auf dem Büchertisch sammelt sie Spenden für ihre gemeinnützige Initiative Horizont e.V., mit der sie seit vielen Jahren wohnungslose Kinder und Mütter unterstützt. Kaum ist das letzte Buch signiert, sprintet die 70-jährige Powerfrau wieder auf die Bühne der Aula regia. Sie will keine Zeit verlieren und die spannende Geschichte der Clownin Valerie zu Ende erzählen. Die Protagonistin des Buchs ist so etwas wie das „Alter Ego“ der Künstlerin. Eine Frau, die für Freiheit und Unabhängigkeit kämpft, die weiß, was sie will, und die sich auch in schwierigen Lebensphasen nicht unterkriegen lässt. Warum der Roman „Amaryllis“ heißt, erklärt Jutta Speidel gleich zu Beginn. Bei der Geburt ihrer Hauptperson Valerie stand eine blühende Amaryllis auf dem Nachttisch der Mutter. Auch das eine Parallele zu Jutta Speidels eigener Geschichte, wie sie in TV-Interviews berichtet hat.
Die Lesung in der Aula regia beginnt mit dem Moment, in dem die kleine Valerie das Licht der Welt erblickt. Das Publikum merkt schnell, dass das Mädchen seinen eigenen Kopf hat. Valerie ist frech, voller Neugier und unangepasst. Früh fühlt sie sich von der Welt der Artistik angezogen, doch bis der Sprung in diese Männerdomäne gelingt, braucht es eine große Portion Beharrlichkeit. Mal heiter, mal euphorisch, mal leise und tiefgründig, so entführt Jutta Speidel das Publikum in die Welt der Clownin Valerie – musikalisch zauberhaft begleitet von ihrer Tochter Antonia Feuerstein, einer Opernsängerin, und von Pianist Peter Rodekuhr.
Zwei Stunden lang fesselte Jutta Speidel das Publikum in der Aula regia. „Ganz großes Kino“, schwärmte eine Besucherin nach der Lesung, dankbar, dass sie die Künstlerin in Ingelheim live erleben durfte. Mit einer Widmung und einem Handy-Schnappschuss zog sie glücklich von dannen. Und auch für Jutta Speidel nahm der Abend in der Ingelheimer Kaiserpfalz ein glückliches Ende. Ihren Zug hat sie noch rechtzeitig erreicht.
Die musikalische Lesung mit Jutta Speidel war der beeindruckende Abschluss des dreitägigen Festivals „Künste & Klänge“, das die Ingelheimer Kultur und Marketing GmbH (IkUM) in der Aula regia veranstaltete. Zum Auftakt der Open-Air-Veranstaltung hatte Florian Künstler auf der Bühne gestanden. Ein Musiker mit Tiefgang, der mit seinen emotionalen Liedern das Publikum berührt. „Wir haben Florian Künstler eingeladen, weil er nicht nur tolle Lieder singt, sondern weil er auch etwas zu sagen hat“, hatte IkUM-Geschäftsführer Matthias Becker dem Publikum vor Konzertbeginn den Musiker und seine Band angekündigt. Dass dem so ist, davon konnte man sich bei diesem eindrucksvollen Konzert überzeugen. Die Songs animierten zum Mitsingen, die Texte gingen unter die Haut. Bald erfüllte ein vielstimmiger „Ingelheim-Chor“ die ehrwürdige Aula regia. „Ihr kennt den Text“, freute sich der Künstler, „Aber das geht noch ein bisschen lauter!“. In der Tat wurde in puncto Lautstärke noch eine Schippe draufgelegt, sodass der Musiker am Ende mit seinem „Ingelheim-Chor“ rundum zufrieden war. Zwischen den Songs erzählte Florian Künstler Geschichten aus seinem Leben, ein Leben, das für ihn bei weitem nicht nur heitere und schöne Momente bereitgehalten hat. „Zu wissen, dass man nicht allein ist, ist so wertvoll“, formulierte der Musiker seine zentrale Botschaft an diesem Abend, den er mit vielen begeisterten Besucherinnen und Besuchern in Ingelheim teilte. Nach der Veranstaltung nahm sich Florian Künstler noch ganz viel Zeit, um mit seinen Fans zu kommunizieren, fleißig Autogramme zu schreiben und die zahlreichen Fotowünsche zu erfüllen.
Mitsingen, Klatschen und Tanzen, das war auch beim Konzert mit „Colours of Gospel“ am Samstag explizit erwünscht. Chorleiter Collins Nyandeje animierte die Gäste in der Aula regia zum „Mitmachen und Stampfen“. Dies verbunden mit der Aussicht, nach dem Konzert vielleicht „mit etwas weniger Kilos nach Hause zu gehen“. Der rund 30-köpfige Chor mit Band setzte alles daran, dass sich die Prophezeiung des Chorleiters erfüllen konnte. Mit einer fulminanten Darbietung sorgte das Ensemble aus Mainz für gute Laune, Inspiration und – ganz nebenbei – für ein ordentliches Fitnessprogramm. Dabei ließen Collins Nyandeje und sein Gospel-Chor den Funken schon nach den ersten Klängen auf das Publikum überspringen. Leidenschaftlich und stimmgewaltig brachten „Colours of Gospel“ das Evangelium auf die Bühne. Mit wundervollen Balladen sowie Black und Reggae Gospel wurde die Aula regia förmlich in Schwingung versetzt. Dass es trotz dunkler Regenwolken am Himmel bis zur Zugabe trocken blieb, auch daran schien der Chorleiter einen Anteil zu haben – dank seines guten Drahts „nach oben“. „Jesus hat versprochen, es wird nicht regnen“, verkündete Collins Nyandeje mit einem beschwörenden Blick gen Himmel. Und so wurde es ein atemberaubender Konzertabend, bei dem es am Ende keinen mehr auf den Sitzen hielt.
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