Das Lehnswesen in Ingelheim
Im Frühmittelalter hatten sich die antiken Gesellschaftsstrukturen weitgehend aufgelöst. In den neu entstandenen germanischen Königreichen in Westeuropa etablierte sich in den folgenden Jahrhunderten eine neue politisch-ökonomische Ordnung: das Lehnswesen bzw. der Feudalismus. Das Lehnswesen war geprägt von der Abhängigkeit eines Leibeigenen oder Vasallen von seinem Lehnsherrn. In unserer Region entwickelte sich dieses System frühestens im Reich der Franken unter Karl dem Großen, vermutlich aber noch etwas später. Im 9. und 10. Jahrhundert gerieten immer mehr ehemals freie Bauern durch ständige Kriege und Invasionen von Wikingern und Sarazenen in wirtschaftliche Not. Ihnen blieb oft nur noch der Ausweg, sich in die Leibeigenschaft eines vermögenden Grundbesitzers zu begeben.
Gegenseitige Treue und Achtung
Im Verlauf des Frühmittelalters entstand so das Lehnsrecht als ein pyramidenartiges rechtliches und soziales Beziehungsgeflecht, in dem der König an der Spitze stand. Der Lehnsherr und sein Lehnsnehmer waren dabei zu gegenseitiger Treue und Achtung verpflichtet. Ein Lehnsherr durfte seinen Vasallen keinesfalls schlagen, demütigen oder sich an dessen Frau oder Tochter vergreifen. Das Lehnsrecht wurde später erblich und prägte das soziale Leben im Heiligen Römischen Reich für Jahrhunderte. Auf deutschem Boden löste es sich letztlich erst mit der Paulskirchenverfassung von 1849 auf. Im Rahmen dieses feudalistischen Systems war die ländliche Bevölkerung dazu verpflichtet, umfangreiche Abgaben an ihre geistlichen und weltlichen Herren zu leisten. Dieser so genannte „Zehnte“ bestand in der Abgabe eines Anteils der landwirtschaftlichen Produktion, der im Extremfall 30 Prozent oder mehr ausmachen konnte. Der Zehntnehmer war dazu verpflichtet, 25 bis 30 Prozent dieser Abgaben im Ort zu investieren und beispielsweise Kirchen und Schulen zu unterhalten. Der Rest allerdings floss in seine Taschen. In Rheinhessen stehen in manchen Orten noch heute die großen Zehntscheunen, in denen die Bauern ihre Ertr.ge abliefern mussten.
Kloster Hersfeld und Ober-Ingelheim
Zehntrechte unterliefen ständigen Veränderungen. Sie wurden geteilt, verpfändet, verkauft, verschenkt und vererbt. Anfangs nur auf Getreide und Großvieh erhoben, wurden bald Abgaben auf alle möglichen Produkte verlangt. In Ingelheim und Rheinhessen war vor allem der Weinzehnt ein Quell ständiger Streitereien und Gerichtsprozesse. Davon zeugen zahlreiche überlieferte Urkunden. Im 15. Jahrhundert hatte Ober-Ingelheim einen Weinzehnten an das Kloster Hersfeld in Nordhessen zu entrichten. Die Aufsicht erfolgte durch das Mainzer Domkapitel, das zur Weinlese einen Zehntherren nach Ingelheim entsandte. Andreas Saalwächter berichtet: „Im Jahr 1450 klagte der Abt zu Hersfeld gegen einen Ingelheimer namens Heppen Clase wegen betrügerischer Zehntentrichtung. Die Zehntbütte hatte nicht das volle Maß.“ Später beauftragte der Hersfelder Abt den Ingelheimer Peter Kitze mit der Einholung seiner Abgaben.
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