Verzweifelte Lebenssituationen auffangen
Flüchtlingspfarrer Uwe Rau über Schicksale und seine Arbeit in der GfA*
*GfA = Gewahrsamseinrichtung für Ausreisepflichtige in Ingelheim
Als Uwe Rau vor etwa zwei Jahren die Aufgabe eines Flüchtlingspfarrers in der GfA Ingelheim übernahm, war dies eine halbe Stelle auf Probe /zur Vertretung. Als Gemeindepfarrer in Maintal-Hochstadt hatte er zufällig von der Ausschreibung der Stelle erfahren und bot eine Vertretungszeit von 6 Monaten an. eine Probezeit von 6 Monaten ein. „Danach war mir klar geworden, dass ich das will“, beschreibt Uwe Rau seine Erfahrungen. Das Thema „Flucht und Migration“ hatte schon immer sein Interesse geweckt. Als er zum ersten Mal die Abschiebehaft in Ingelheim besucht, dominieren Betroffenheit und Beklemmung. Im Folgenden ein Interview mit Uwe Rau, der über seine Erfahrungen berichtet. Was ist die Aufgabe eines „Flüchtlingspfarrers“? Meine Aufgabe ist es für Menschen da zu sein, die durch andere Hilfsangebote nicht erreicht werden. Man braucht dann jemand, der flexibel ansprechbar ist, der ein offenes Ohr hat, gut vernetzt ist und auch Kontakte woanders hin hat. (Auch meine Kontakte zur Härtefallkommission sind wichtig, um evtl. über die Kommission noch eine Duldung zu bekommen. Gilt nur für Menschen, die noch nicht in der Abschiebung sind und für die noch kein Flug gebucht wurde) Wie waren Ihre ersten Eindrücke, als Sie zum ersten Mal die Ingelheimer Einrichtung besuchten? Ich war schon sehr betroffen über das, was ich da sah. Ich erlebte eine Beklemmung – Dinge, die ich sonst nur vom Fernsehen kannte, zuerst wird eine Schleuse aufgeschlossen, dann gehen sie durch die Tür, die Schlüsselbunde, die Kameras. Und das Bewusstsein, dass da Menschen untergebracht sind, die keine Straftäter sind, deren letzte Station die GfA ist, bevor sie abgeschoben werden. Das hat mich sehr bedrückt. Und es war mir klar, hier muss ich etwas tun, man kann nicht wegschauen. Wie haben Sie Ihre Aufgabe definiert? Es verbietet sich, Hoffnung in dem Sinne zu vermitteln, dass man den Menschen suggeriert, sie kämen wieder aus der GfA heraus. Es verbietet sich auch, Hoffnungen zu formulieren, die mit dem aufnehmenden Land zu tun haben. Seelsorge als Beratung für neue Lebenswege ist sehr begrenzt. Die Menschen, die dort leben, haben mir letztendlich sehr viel vermittelt. Ich habe viel reflektiert. Was haben Sie im Kontakt mit den Menschen in der GfA erlebt? Die persönlichen Gespräche, das was mir Menschen anvertraut haben, waren sehr wichtig. Wie gestaltet sich die Kommunikation? Auf Deutsch oder Englisch oder auch mit Übersetzern. Im Haftgebäude ist jegliches Gerät, das auf das Internet zugreift, verboten. Der Einsatz eines Digitalen Translators …Digitale Translator sind also nicht möglich, obwohl das sehr einfach handhabbar wäre. Menschen, die in ihrer Zelle aus Sicherheitsgründen verbleiben müssen, erreiche ich deshalb nur schwer. Andere kann ich mit in mein Büro nehmen. Wo sehen Sie besondere Herausforderungen? Ich kenne die Personen nicht. Dennoch sind die Menschen mir sehr offen gegenüber. Wichtig ist, dass die Menschen wissen, wer ich bin. Ich stelle mich vor, frage ob ein Gespräch gewünscht wird. Ich erzähle auch von mir. Es geht darum die Situation zu schildern. Warum bin ich hier gelandet. Viele sagen, das ist ungerecht, was mir hier passiert ist. Wie erleben Sie die bürokratischen Auflagen? Die Auflagen sind enorm. Die Bürokratie behindert sich oftmals selbst. Manche gehen zur Ausländerbehörde und wollen nur eine Verlängerung der Duldung – und dann wartet die Polizei dort schon. Das sind dann oftmals Menschen, die ausreisepflichtig sind, aber erklärt haben, dass sie nicht freiwillig ausreisen werden. Und sie benennen oft Gründe, die Gefahr für Leib und Leben bedeuten. Manche haben längere Zeit in Deutschland gelebt, haben ein Zimmer und sich eingerichtet – aber sie müssen dann alles zurücklassen und kommen in die GfA. Das ist sehr gravierend. Wie erleben Sie die Darstellung in den öffentlichen Medien im Vergleich zu den Einzelschicksalen, die Sie kennen lernen? Oft wird von Wirtschaftsflüchtlingen gesprochen. Tatsache ist, dass viele nach Europa gehen, um von dort aus die Familie finanziell zu unterstützen. Allein für die westafrikanischen Staaten sind es jährlich 49 Millionen Euro, die erwirtschaftet werden und nach Hause geschickt werden. Einer aus der Familie geht, die anderen können bleiben. Insofern ist das Wort „Wirtschaftsflüchtlinge“ völlig falsch, es sind „Armutsflüchtlinge“. Und das wird sich in Folge des Klimawandels und der weiter auseinander gehenden Schere zwischen Industrieländern und Armutsländern verschärfen. Bis der Asylantrag bearbeitet ist, vergehen oft Jahre, und es entsteht der Eindruck für die Familie im Heimatland, dass der Asylsuchende es geschafft hat. Und wenn man dann in der GfA landet, ist es oftmals die verzweifelte Endstation. Wie lange bleiben die Menschen durchschnittlich in der GfA? Die offizielle Durchschnittszeit sind 21 Tage. Da sind Leute dabei, die nur 2 – 3 Nächte in der GfA verbleiben, um dann rechtzeitig am Flughafen zu sein. Auf der anderen Seite ist das Maximum 12 Monate. Viele sind 2 – 3 Monate da. Manche hoffen, über einen Asyl-Antrag die Abschiebung zu verhindern, dann wird die Abschiebung vorübergehend gestoppt, aber man kommt auch dann aus der GfA nicht heraus. Das kann sich über Monate hinweg ziehen. Was passiert, wenn jemand in seiner Hoffnungslosigkeit ankündigt, sich das Leben nehmen zu wollen? Wenn diese Ankündigung ausgesprochen wird, gibt es besondere Sicherheitsmaßnahmen. Im Extremfall ist das eine sogenannte „Schlichterzelle“, das sind die Wände und eine Matratze. Es gibt regelmäßige Kontrollen – tags und nachts. Es gibt die Möglichkeit, dass jemand in eine Fachklinik kommt. ,Wenn jedoch keine psychische Erkrankung vorliegt, die Suizidabsicht also „nur“ in der Angst vor der Abschiebung begründet ist, wird er wieder zurückverlegt. Nur bei gravierenden Zuständen z.B. wenn eine Depression bescheinigt wird und/oder eine Reiseunfähigkeit vorliegt, wird ein Attest ausgestellt. In Ingelheim/der Abschiebungshaft sind schon Selbstverletzungen vorgekommen, aber einen Todesfall durchSuizid gab es meines Wissens nicht ist mir in meiner Zeit noch nicht begegnet. Wo liegen die Chancen, wo die Grenzen Ihrer Arbeit? Ich versuche herauszufinden, welche Ressourcen der/ein Mensch hat. Dazu muss/versuche ich in ein Gespräch kommen, lade die Person ein, mir etwas erzählen. Ich erfrage, wann im Leben schon einmal bedrohliche Situationen waren – und die gab es mit Sicherheit. Die Flucht, das Mittelmeer, die Balkanroute – da haben Menschen solche Erfahrungen. Viele erinnern sich, dass es eine Kraft gab, die Gottes oder Allahs, andere haben ihre eigene Kraft kennengelernt. Wieder andere kommen darauf, dass es eine göttliche Prüfung sein könnte, dass Gott einen besonderen Plan hat. Irgendetwas kommt noch. Manche denken, wenn ich jetzt zu Gott bete, komme ich aus der GfA raus. Das ist zu kurz gedacht. Wichtig ist, dass die Erkenntnis reift, Gott geht mit. Es ist dann wunderschön, wenn Menschen dies selbst von sich aus formulieren. Ich bete mit den Menschen, ich segne, manchmal lege ich meine Hände auf die Schultern. Ich vertraue auf die die Präsenz Gottes in jeder Begegnung versuche ich zu erreichen. Die Präsenz Gottes liegt auch manchmal im Schweigen. Da wir aber nicht über Gott oder die Offenheit eines Menschen verfügen können, liegen dort auch die Grenzen.Neben der seelsorgerischen Arbeit unterstützen Sie die Menschen auch auf anderem Weg? Die Kommunikation nach draußen ist ein Problem. Niemand darf ein Handy haben. Und viele Kontakte laufen über WhatsApp. Jeder bekommt bei seiner Ankunft eine Karte über Euro 10,-- für das Kartentelefon. Ab dann nur noch Euro 5,-- pro Woche. Damit kann man nicht viel machen. Deshalb habe ich immer 5-Euro-Karten mit dabei, die aus Spenden finanziert sind. Werden alle Menschen, die in der Abschiebehaft sind, abgeschoben? 5 – 8% werden nicht abgeschoben nach meiner Erfahrung. Das ist immer ein großes Fest. Das bedeutet, dass das Gericht entschieden hat, dass dieser Mensch zu Unrecht festgehalten wurde. Der Vollzugsbeamte kommt in die Zelle und sagt „Du bist frei“. Das sind die großen Glücksmomente. Was sind Ihre Wünsche? Menschenwürde für jeden Menschen, der hier in Deutschland lebt – unabhängig von einem Pass. Sowie gleiche Chancen der Integration innerhalb von Europa. Herr Rau, ich danke Ihnen für dieses Interview. Das Interview führte Helga Lerch.
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