Einblicke in die Geburtsstunde der Ingelheimer Pfalz
Publikation der Forschungsstelle betrachtet alte Schriftquellen in neuem Licht
Die Forschungsstelle Kaiserpfalz der Stadt Ingelheim hat den dritten Band ihrer Wissenschaftlichen Reihe veröffentlicht: „Schriftquellen zur Pfalz Ingelheim. Lateinische Texte der karolingischen Epoche gesammelt, übersetzt und kommentiert“ lautet der Titel des im Michael Imhof Verlag erschienenen Buches. Darin werden die Schriftzeugnisse zur Ingelheimer Pfalzgeschichte aus den Jahren 774–909 kompakt und übersichtlich präsentiert. Hartmut Geissler, Vorstandsmitglied des Historischen Vereins Ingelheim, hat die lateinischen Texte in jahrelanger, akribischer Arbeit neu übersetzt.
Es ist fast ein halbes Jahrhundert her, dass eine vergleichbare Arbeit vorgelegt wurde: Der Historiker Hans Schmitz veröffentlichte 1974 mit „Pfalz und Fiskus Ingelheim“ ein Standardwerk für die Erforschung des frühmittelalterlichen Ingelheim. Doch seitdem hat sich viel getan. So konnte Hartmut Geissler beispielsweise zeigen, dass sich im Jahr 807 nicht etwa Karl der Große in Ingelheim aufhielt, wie man lange Zeit angenommen hat, sondern sein Sohn Ludwig der Fromme. Holzkohleuntersuchungen aus dem Fundament der Saalkirche haben erst vor wenigen Jahren den wissenschaftlichen Beweis erbracht, dass diese nicht aus ottonischer Zeit stammt, sondern erst zwischen 1027 und 1154 errichtet worden sein kann. Es war also an der Zeit, die Quellensammlung von Hans Schmitz zu überarbeiten und auf der Grundlage des heutigen Wissens einem größeren Publikum zugänglich zu machen. Mit Band 3.1 der Reihe „Archäologie und Bauforschung der Pfalz Ingelheim am Rhein“ wird zudem eine Folge von Studien eröffnet, die sich in den kommenden Jahren auch den schriftlichen Quellen des 10.–12. Jahrhunderts widmen werden.
Von Karl dem Großen bis zu Ludwig dem Kind
Der nun vorliegende Band gliedert sich in drei zeitliche Abschnitte: er beinhaltet die Quellen zu Karl dem Großen, zu Ludwig dem Frommen und abschließend zu den späteren Karolingern (Lothar I., Ludwig II. der Deutsche, Arnolf von Kärnten und Ludwig IV. das Kind). In diesen Zeitraum fällt die Geburtsstunde der Ingelheimer Pfalz, die um das Jahr 800 gegründet wurde. Der Bau dieser architektonisch einmaligen Anlage rückte das zuvor eher bescheidene „Ingilinhaim“ in kürzester Zeit ins Zentrum europäischer Machtpolitik. Schnell wurde der Ort zu einer der wichtigsten Anlaufstellen von Königen und Kaisern.
Reichsversammlungen, Kriege und kaiserliche Empfänge
Einen Schwerpunkt der Quellensammlung bilden offizielle Urkunden. Deren Schlussformeln, die sogenannten Eschatokolle, enthalten oft wertvolle Hinweise auf Orte, anwesende Personen oder bestimmte Ereignisse jener Zeit. Dadurch erlauben die Texte spannende Einblicke in die Pfalzgeschichte und das politische Leben im 8. und 9. Jahrhundert mit seinen Reichsversammlungen, den zahlreichen innen- und außenpolitischen Konflikten oder den Empfängen kaiserlicher Gesandtschaften aus dem Byzantinischen Reich. Viele dieser Urkunden sind als hochwertige Foto-Reproduktionen in dem Band abgebildet.
Daneben bietet das Buch auch Auszüge aus erzählenden Texten, etwa von Karls berühmtem Biografen Einhard, dem Dichter Ermoldus Nigellus, der eine lebhafte und bunte Beschreibung der Pfalz hinterlassen hat, oder jenem unbekannten Geschichtsschreiber, den die Forschung in Ermangelung eines überlieferten Namens nur als „sächsischen Poeten“, den Poeta Saxo kennt. Um die Bedeutung der Urkunden, Chroniken und Dichtungen im Kontext des frühen Mittelalters besser verstehen zu können, werden die übersetzten Abschnitte historisch eingeordnet und kommentiert. Vielfach werden darüber hinaus auch andere, nicht auf Ingelheim bezogene Quellen herangezogen. Das ist vor allem dann hilfreich, wenn die Überlieferungen und ihre Interpretation in der Forschung umstritten sind – was tatsächlich häufig der Fall ist. Die Archäologie hat das Bild der merowingischen und der karolingischen Epoche in Ingelheim erheblich erweitert und aufgehellt.
Wissenschaftlichen Reihe „Archäologie und Bauforschung der Pfalz Ingelheim am Rhein“, Band 3.1: Schriftquellen zur Pfalz Ingelheim. Lateinische Texte der karolingischen Epoche gesammelt, übersetzt und kommentiert von Hartmut Geißler. Mit archäologischen und mediävistischen Kommentaren von Holger Grewe und Caspar Ehlers. 144 Seiten, 34 Abbildungen, 29,95 €, ISBN 978-3-7319-1274-3 Erhältlich im Buchhandel (z. B. bei der Buchhandlung Wagner, Ingelheim) sowie direkt beim Verlag (https://www.imhofverlag.de). Dort sind auch die Bände 1 und 2 der Reihe Archäologie und Bauforschung der Pfalz Ingelheim am Rhein (Band 1: Beiträge zur Ingelheimer Pfalz und ihrer Peripherie 2001–2020; Band 2: Bauskulptur und Steinbearbeitung im Frühmittelalter) erhältlich.
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